Mein erster Reflex war es, den irgendwie merkwürdig an der meiner Interpretation der Sache Video-Content im Netz vorbeigeschriebenen Artikel auf den Verlag hinter dem Wall Street Journal zu schieben. Aber das ist schon wieder zwei Schritte zu weit gedacht. Erst einmal zum Artikel selbst. Seine Headline fasst sehr gut den Inhalt zusammen, auch wenn der Artikel noch etwas weiter geht:
Some Media Companies Cool on YouTube Distribution
Aber beim Untertitel rege ich mich auf. „YouTube seen as crowded and difficult for content discovery…“. Ja, ich stehe dem Geschäftsmodell von YouTube als Angestellter bei einem Contentproduzenten und Ex-Angestellter eines Fernsehsenders auch „kühl“ gegenüber. Oder anders: Als Premium-Inhalteanbieter mit einer eigenen Video-Infrastruktur kann man höhere Pro-Kopf-Erlöse erzielen als ein Creator bei YouTube. Der Share, den man abgeben muss, ist gewaltig (45%). Aber: Man kriegt die Infrastruktur, alles, wirklich alles, wird dem Creator von YouTube abgenommen, um das man sich auf einer eigenen Seite kümmern müsste. Als da wären:
- die Organisation der Clips in einem Channel
- der Video-Player für ein Anzeigen der Inhalte auf allen Verbreitungswegen (Web, App, Connected TV, um nur ein paar zu nennen)
- das Umwandeln der Inhalte in die technisch richtigen Formate (=Transcoding genannt)
- das Streaming durch das Internet
- das Ausspielen von Werbung
- das Ausrichten der Werbung auf den richtigen Nutzer (=Targeting)
- die Abrechnung der Werbeeinnahmen
- die Ausschüttung des Anteils für den Creator
Das ist wirklich viel Arbeit im Detail, ich hoffe, man merkt es. Ich kenne mich da aus. Ich habe so etwas in den letzten neun Monaten für TargetVideo gebaut, und das ist nur zu schaffen, wenn man das für mehrere Projekte macht. Als Produzent alleine wie PewDiePie oder die kleineren YouTuber? Kannst du vergessen.
Die Leistung von YouTube geht aber darüber hinaus. Dein Video ist sofort bei Google zu finden, wenn man nach den richtigen Keywords sucht. (So hat YouTube viele andere Video-Marktplätze, husthust, MyVideo, aus dem Markt gedrängt.) Oder bei YouTube direkt. YouTube ist die zweitgrößte Suchmaschine der Welt. Dass also Discovery da schlecht sein soll, das Entdecken von Content – das ist schlicht falsch. Die jammernden Medienproduzenten meinen etwas Anderes. Der Schlauch, mit dem YouTube Traffic zuspült, funktioniert anders als der „Hier und Jetzt“-Schlauch von Facebook. Wer ein Video zu einem Longtail-Thema bei YouTube macht, sei es Nähen oder Let’s Play, kann sich lange über Traffic freuen. Der Facebook-Traffic ist wie ein Buschfeuer. Superhell und schnell vorbei. Chartbeat hat den schon 2014 analysiert:
Man könnte also Social Media Management und SEO miteinander vergleichen und SEO doof finden, dann wäre man auch auf dem Holzweg. Es braucht beides, und die beiden Channels komplimentieren sich. Und was die Medienmacher nicht verstanden habe, dass YouTube einfach anders funktioniert. Ein Zitat besonders hat mich verstört, von einem wirklich guten Online-Chefredakteur:
“A lot of media organizations have struggled on YouTube,” said Josh Topolsky, the former head of digital at Bloomberg who previously helped launch The Verge. “They wish it was more of a social network.”
YouTube ist ein soziales Netzwerk. Wer sich mal in die Kommentare eingelesen hat, weiß das. Medienunternehmen missverstehen das. Und oftmals haben sie nicht den richtigen Content für die YouTube-Zielgruppe. Die goutieren nämlich authentischen Content. Facebook hat News-Video-Produzenten überbelohnt, und hat jetzt erst vor kurzem den Algorithmus wieder mehr in Richtung Freunde und Familie gedreht. Die Ausrichtung des Feeds in Richtung Moment (nix treibt weniger Traffic als der Post von gestern) ist den meisten Medienunternehmen näher, und deswegen schimpft man über YouTube. Wobei die Google-Tochter einigen Organisationen aus der Patsche hilft – die Technik nimmt man dann nämlich doch mal eben mit.