Buchkritik: Universalcode 2020

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Bücher / Journalismus
Im deutschen Journalismus gibt es eine Handvoll Praktiker, die ich bewundere, unter anderem deshalb, weil sie Sätze besser schreiben und Zusammenhänge treffender zusammenfassen können als ich das je könnte. Über einen von ihnen, Jochen Wegner, habe ich das vor einiger Zeit bereits in einem Tweet gesagt.

Und meine Geschichte mit Jochen Wegner geht bis in Jonet-Zeiten 1997, 98 zurück. Damals war er schon der Spiritus rector des deutschen Onlinejournalismus. Den so zu nennen, würde mir Buchautor Christian Jakubetz untersagen. Das heißt bitteschön „Digitaljournalismus“. Aber online als Verbreitungsweg als gattungsbestimmend zu begreifen, ist zu kurz gesprungen. Das Internet ist immer an, inzwischen auch im Fernseher. Fernsehen und Radio sind anders, in dem Sinne, dass hier Stil und Verbreitungsweg zusammengebacken das Medium ergeben. Radio ist ohne die Livelinearität nicht zu denken. Es ist im Auto 7.30 Uhr, du hörst (Sendername hier einfügen), alle Staus, alle Blitzer, alle Hits der 80er, 90er Jahre und das Beste von heute. Genauso ist es mit dem Fernsehen. Es gibt eine Senderstrecke, und die muss auch gefüllt werden. Gerade ist das beste Beispiel zu Ende gegangen. Olympia ist im Fernsehen ein Programm, 17 Tage lang 17 Stunden pro Tag oder so, und nur für die Nachrichten und die Werbung wird nach Hause geschaltet.

Digital ist besser

Richtiger muss es heißen: Digital hat es besser. Der Verbreitungsweg ist das Internet, mit dem Transport der Inhalte in Datenpäckchen. Und weil das so ist, ist es am besten, wenn der Inhalt weniger Päckchen braucht. Dann kommt er schneller auf dem Screen des Konsumenten an. Das Buch „Universalcode 2020“ ist schwer im Jahr 2016 verortet, mitten in der Diskussion um Facebook und Google, die den Journalismus am Beißring im Kreis herumführen (sagt man doch so, oder). Aber wo die Zukunft im Speziellen schwer vorherzusagen ist, ist sie im Allgemeinen absehbar. So wie der Trend der Miniaturisierung die Rechenleistung eines PCs in ein Smartphone gepackt hat, sind auch die Produktionsmittel demokratisierend an die Peripherie des Mediensystems gewandert. Jeder ist ein Sender. Mit Facebook Live oder anderen Apps kann jeder Fernsehqualität livestreamen.

Jakubetz hält sich erfrischend wenig mit Details auf, weil die nur eine Überarbeitung für eine neue Auflage notwendig machen und inhaltlich wenig ergiebig sind. Den Blick fürs große Ganze bekommt man nicht, wenn man Menüs und Buttons in der Standardsoftware von anno dazumal erklärt. Zu schnell ändert sich alles, der nächste Konkurrent für Facebook steht sicher schon längt in den Startlöchern. (Schlechtes Beispiel, wahrscheinlich eher der nächste Konkurrent für einen Markt, den wir nicht im Auge haben. So wie Facebook letztlich das Telefon und Mails und Postkarten und Briefe als Konkurrent abgelöst hat. Wer ich bin, wie ich lebe- und wo ich Urlaub mache, das steht bei Facebook, und nicht auf einer Postkarte aus dem Urlaubsgebiet. Billiger ist es auch.

Billig ist ein Smartphone zwar nicht, aber man kann damit günstiger Video produzieren als mit einer herkömmlichen EB-Ausrüstung. Im Grund ist Jakubetz Band aus der Reihe des Praktischen Journalismus das Einführungswerk, das ich mir zu Teilen in dem Buch zum Fernsehjournalismus, das ich vor kurzem besprochen habe, gewünscht hätte. Da spricht ein Praktiker über die Produktionsbedingungen, und gleichzeitig hat er noch über die großen Trends nachgedacht. Das ist auf dem deutschen Markt nicht selbstverständlich.

Ein paar Schönheitsfehler hat das Buch, in besonders aktuellen Kapitel hat das Lektorat ein paar Flüchtigkeitsfehler übersehen. Einen anderen Fehler hat es noch, wenn man das stark gegliederte Werk, das man auch als Glossar oder Sammlung guter Rezepte lesen kann – in der Technikwelt nennt man das dementsprechend Cookbook – in einem Rutsch liest: Manche Hinweise wiederholen sich, ohne dass sie an Tiefe gewönnen. Und das Schlusskapitel, das drei andere Autoren verfasst haben, wirkt hinten herangetackert, weil es in Sachen Lesbarkeit spürbar abfällt.

Eine gewisse Einseitigkeit der Betrachtung des Journalismus hat das Buch noch, weil es stark auf die Aktualität fokussiert. Longform wie Reportage oder Magazinjournalismus kommt kurz – wohl auch, weil sich der Autor damit noch nicht so beschäftigt hat. Beim schnelldrehenden Tagesgeschäft ist er aber sehr wohl auf der Höhe der Zeit.

Also: Wer etwa nach einer Babypause wieder in den aktuellen Journalismus zurückkehrt, dem sei das Buch dringend empfohlen. Oder einem Journalismusausbilder, der wenig Kontakt zur Praxis hat. Oder einem Journalistenschüler, der aus dem Bewegtbildbereich kommt. Sie können alle davon profitieren. Mir als Organisator von Servicejournalismus hat es nicht so viele neue Erkenntnisse vermittelt. Aber Kopfnickerbücher sind ab und zu auch ganz gut. Sie zeigen, dass man nicht alles falsch macht im Beruf.

Und noch etwas zur Typografie:

Die Typografie ist überwiegend gut. Avenir ist eine zeitgemäße Wahl als Fließtextschrift, wenn auch nicht klassisch gut lesbar. In ein paar Jahren wird man auf der Basis der Schrift sagen können, dass das Buch irgendwann nach 2012 erschienen sein muss. Aber Impact als Überschriftentype ist beinahe unverzeihlich. Vielleicht noch in einem Buch über Memes. Comic Sans würde auch kein Designer nehmen.

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