Serienkritik „Lost in Space“ von Netflix

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Maxwell Jenkins spielt das jüngste Kind der Robinsons in "Lost in Space" von Netflix. Foto: Gage Skidmore/Flickr
Eine Familie steht im Zentrum von „Lost in Space“ von Netflix, noch genauer: eine Patchwork-Familie, die unter Druck wieder zusammenwächst. (Science-Fiction steht nur außen drauf, eigentlich ist es eine Familienserie.) Und hier findet sich auch das Stück Schrapnell, das in mir die Saite „Vater-Sohn-Beziehung“ zum Schwingen gebracht hat. Dieser Klang hat dazu geführt, dass ich die an sich nicht besonders gute, oft schlampig produzierte (Dramaturgie! Make-up!) Serie zu Ende geschaut habe. Weil ich nicht will, dass andere die Serie aus den falschen Gründen schauen: In diesem Text werde ich einiges verraten, Achtung Spoiler. Wer Spoiler nicht mag, sollte bitte nicht weiterlesen.

Achtung: Spoiler für „Lost in Space“ von Netflix

Die Erde geht kaputt, so ganz klar, wieso, ist mir das in der Serie nicht geworden. Zwar gibt es viele Backflashes, aber die sind meist zur besseren Personenzeichnung da. Die Menschheit sucht sich ein neues Zuhause. Und das nächste Sternensystem ist, wie wir seit dem Computerspiel „Civilization“ wissen, in dem man die Menschheit bis zur Flucht von der Erde führen musste, Alpha Centauri.

Also werden Raumschiffe gebaut und Raumstationen, mit denen man hunderte, vielleicht tausende Menschen da hin kriegen kann. Die Anforderungen sind streng, es müssen rigide Tests bestanden werden – die man aber auch aushebeln kann, wenn man das System spielen kann. Und Mama Robinson ist nicht nur Astrophysikerin und eine strenge Mama, sondern eine liebende Mama und Angestellte in einem Behördensystem, in dem es Auswege gibt, wenn die Dramaturgie das braucht. Wir Erdlinge nennen das Schummeln für eine gute Sache.

Die Dramaturgie ist das größte Problem an der Serie: Wie einst bei Jack Bauer werden Kunstgriffe und Auswege aus dünner Luft hervorgezaubert, beziehungsweise, um die Metapher für das Weltall zu aktualisieren, aus dem luftleeren Raum des Weltalls. So wird der einzige Sohn der Robinsons (Maxwell Jenkins) mal als wissenschaftlich-technisches Wunderkind gezeigt, das allein ganz hervorragende Ideen hat, wie eine Art naiver Jim Knopf, der das ja auch ohne Schulbildung konnte. Und dann ist er wieder ein ängstliches Kind. Das ist für sein Alter nicht unüblich, aber irgendwie fühlt es sich falsch an. Vielleicht ist es auch toll, dass er so schillern darf. Ich habe mich für die andere Sichtweise entschieden. Falsch – wie die Maske auch. Ich habe mich dauernd gefragt, warum sie seine braunen Haare so strähnenartig blondiert haben. Ja, die Serie erlaubt solche Gedankenausflüge. Und wenn es mal hart auf hart kommt und die Protagonisten Schrammen davontragen, sind die so unfassbar unecht geschminkt, dass ich anfange, an einen Streik der Make-up-Artists während der Dreharbeiten zu glauben.

Also, die Reise nach Neu-Erde geht los, aber schon bald wird das Raumschiff der Kolonisten angegriffen, von außerirdischen Wesen. Was ich interessant fand: keine Phasergewitter, sondern nur Sterben und knirschendes Metall. Der Fokus auf Besiedlung führt zu einem sehr defensiven Verhalten – „Lost in Space“ ist mehr Sims als Star Trek.

Warum der Angriff? Das wird erst gegen Staffelende verraten (es wird eine zweite Staffel geben: https://variety.com/2018/tv/news/lost-in-space-renewed-season-2-netflix-1202809316/), aber sagen wir mal, die Menschen sind nicht ganz unschuldig daran. Also das Management der Menschen. Die Mitreisenden erfahren erst mal nix, ganz so, wie wir Deutschen das so von der Deutschen Bahn kennen. Und die Rettungskapseln der Kolonisten, die verdächtig an den Millennium Falcon erinnern, werden durch Zeit und Raum in unerkannte Bereiche des Universums geschleudert. Wo noch nie jemand war. Seht ihr, die Serie ist wie ein Pac-Man für all die Muster aus dem Science-Fiction-Universum. Alles frisst sie auf, nix ist ihren Machern selbst eingefallen. Und wo sie frei sind, auf Terra Inkognita des Erzählens, machen sie Murks, dazu später mehr.

Lost in Space erörtert Familiendynamiken, aber da, wo es interessant wird, flüchtet man sich in „Wir lieben uns doch alle“ und „Papa/Mama ist der/die Beste“. Da ginge noch was, Netflix. Und wenn die Figuren so ehrlich zueinander sein würden, wie sie es behaupten, gäbe es noch weniger Erzählraum. So wie heute manche RomComs nicht mehr gehen, weil es das Smartphone gibt, verfinge vieles nicht mehr, wenn alle wirklich mal miteinander redeten.

Murks in Space

Kommen wir zu den Fehlern der Serie.

In einer Folge wird mal eine Harpune gebraucht, um durchs All fliegende Menschen in Raumanzügen einzufangen. Hallo, Sandra Bullock! Die Harpune gibt es, aber sie ist in einem viel zu großen Deko-Koffer verstaut, so wie sie vielleicht auf einer Waffenbörse oder in einem Waffengeschäft gezeigt würde. Alles, aber wirklich alles ist in riesigen Alukoffern, wie sie bei Kickstarter und bei Fotografen Freudenstürme auslösen würden. Viel Schaumstoff, tolle Verschlüsse, die satt ins Schloss fallen.

Für einen Transport über lange Entfernungen, bei dem es auf jedes Gramm Gewicht ankommt (denn wir fliegen in Lost in Space immer noch mit herkömmlichen Treibstoffen durchs All, soweit ich das verstanden habe), hätte man den Koffer kleiner gemacht. Oder mehr in den Koffer gepackt.

Und für solche Ausrüstungsgegenstände gibt es ja auch immer noch den 3D-Drucker an Bord der Jupiter-Rettungskapsel. Aber den hat man ja an einer anderen Stelle der Story benutzt. Und man darf nix doppelt benutzen. Die US-amerikanische Wegwerfmentalität gilt also auch für Story-Elemente.

Auch das Raumschiff ist riesig. Um den Familientisch, den es in der Serie wie in jeder Sitcom gibt, können Autos herumfahren. Wirklich. Da ist massig Platz, weil es einfach auch geiler aussieht. Hier grüßt Kubrick. Von der Beengtheit der Weltraum-Kolonisation, wie sie in „Seveneves“ so beeindruckend-beklemmend beschrieben wurde, ist nix zu spüren. Offenbar befinden wir uns in der First Class der Weltraumfliegerei. Was muss es da Prämienmeilen geben.

Oder auch in der NatGeo-Mockumentary „Mars“. Da will der Planet einfach immer die neuen Bewohnen töten, so scheint es. Auch in „The Martian“ war das so. Mark Watney kämpft seinen eigenen Krieg gegen den roten Planeten. So unangenehm ist die Welt. Die Gefahren auf dem namenlosen Planeten in „Lost in Space“ sind immer kommod beherrschbar. Man kann die Luft atmen. Riesige Tiere? Ja, aber blind. Riesige Tiere 2? Ja, aber lass das mal den Killerroboter machen.

Wer sich eine Bingokarte für das Schauen der Serie machen will, sollte auch „Jeder Robinson muss mal sterben“ darauf schreiben. Nahtoderfahrungen gehören zum Erziehungsauftrag, zur Heldenreise beim Erzählen. Alles oder nix, aber das Ergebnis ist, dass man das Nix als Zuschauer nicht mehr ernstnehmen kann. Da wird schon keiner wirklich sterben. Da habt ihr bei „Game of Thrones“ nicht genau genug hingeschaut. Da sterben gerade die gerade lieb gewonnenen Menschen, vergessen?

Leider überlebt auch die Figur, die ich am meisten gehasst habe, die erste Staffel. Diese Figur baut sich einen Palast aus Lügen, und kommt auch noch damit davon. Sie wäre toll bei Twitter. Also wird es wohl keine zweite Staffel für mich geben.

Wertung: 2 von 5 schwarzen Löchern

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