Die Pandemie ist noch nicht vorbei, wir knowledge worker arbeiten alle im Home Office und schreien in Bildschirme, deren Hintergrund wir bald genauso gut kennen wie die Kaffeeküche im Büro. Unter dem Tisch stapeln sich die leeren Bestellungen, im Drucker liegt noch ein Retourenschein. Lagerkoller 4.0, nur ohne, dass es so schick ist wie bei Adrian Tomine.
Und da kommt so ein Real-Life-Event wie das MTP Engage Hamburg 2021 Leadership Forum von Mind the Product in Hamburg gerade recht für all die Wagemutigen, die sich nach dem Austausch mit Ähnlichgesinnten sehnen. Mein Tribe – Product Leaders, Heads of Product. Hach.
Unter ihnen war auch ich diesmal, zum ersten Mal Mind the Product erlebt. Sogar unter den strengen örtlichen Hamburger Regeln des Infektionsschutzes war die Veranstaltung für etwa 50 Product Leaders möglich. Sie ermöglichte nicht nur drei Vorträge, sondern auch den Austausch auf dem Hallway Track. Den möchte ich angesichts der intimen Größe der Gruppe und der Location eher tagsüber Kaffeemaschinen-Track und abends Terrassen-Track nennen, denn auf der windumwehten Terrasse im zweiten Stock des brandneuen New-Work-Gebäudes im Hamburger Hafen fand der eintägige Event seinen Abschluss. Mit Häppchen, portugiesischem Weißwein und dem Blick auf die Container von Mærsk. Von dem Containerriesen waren auch einige Mitarbeiter: innen dabei. Die Inhalte dieser Gespräche halte ich unter drei. Chatham House Rules, you know.
Aber zum offiziellen Teil.
Talk: Bulletproof Soul – Lessons for product leaders about self-care and managing stress
Wie sorge ich eigentlich dafür, dass ich als Product Leader gesund bleibe, diese oft verdrängte, aber drängende Frage stellte Dominique Jost, ex-Alles bei der Scout-Gruppe. Was heißt ex-Alles? Vom Softwareentwickler bis zum Chief Product Officer war er vieles dort, in seinen 17 Jahren.
Seit ein paar Wochen ist er Head of Product bei Doist, dem Remote-first Unternehmen, dem wir unter anderem Todoist verdanken, das ich im täglichen Einsatz habe. Seine eigene Geschichte, die er sehr offen teilte, habe ihm gezeigt, wie gefährlich das ist, wenn man das eigene Wohlergehen zu lange hinten anstelle. Das Ergebnis Crash, Burnout.
So wie es Ratschläge gibt, wie man die eigene Karriere auch als Produktmanager als ein Produkt betrachten sollte, macht Jost klar: (Betrachte auch deine mentale Gesundheit als ein Produkt.) Du hast all die Tools, die du brauchst, in deinem Werkzeugkasten als erfahrener Produktmensch.
(Den Satz in Klammern hat mein Namensvetter nicht gesagt, aber er ist für mich implizit).
Eine Workload, unter der er zusammengebrochen ist – das kommt häufig vor bei Product Leaders.
(Angesichts der unguten Muster, die ich im Produktbereich in so vielen Häusern gesehen habe, fängt die Überlastung schon als Product Owner an. Immer dann, wenn der PO vom Team überall hingeschickt wird. „Das macht der PO!“)
Das hat seine kurze Umfrage ergeben, die er unter 50 Product Leads gemacht hatte. Ihre Ergebnisse hat er mit einem Miro-Board und Tabellen ausgewertet, ihre Insights uns mit einem neuen Canvas für die Bulletproof soul (BPS) vorgestellt. Das Wichtigste: Er gab den Anwesenden den Impuls, sich Check-Ins für das eigene Wohlbefinden in den Kalener zu stellen. Nicken überall. Nur das, was im Kalender steht, bekommt seine eigene Wichtigkeit und wird abgearbeitet.
Aber welche Boxen lohnen sich eigentlich abzuarbeiten und welche nicht? Am Anfang der Arbeit als Produktverantwortliche:r in einem Umfeld steht erst einmal das Überprüfen und gegebenfalls das Aufstellen einer neuen Produktstrategie.
Und weil die Musik, die er referenziert hat, auch hörenswert ist, hier noch das Embed:
Talk: Beating the drum of your product strategy tune
Produkt-VP Megan Murphy (ex-N26) hat vor zwei Jahren beim Analytics-Anbieter Hotjar so ein Vakuum vorgefunden – trotz des guten Produktes. In enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Gründern und den wichtigsten Stakeholdern hat sie dabei iterativ eine Produktstrategie erarbeitet.
Im ungewohnt tiefen Einblick in diese Wurstküche der Strategie hob sie hervor, wie wichtig sowohl das Arbeiten im stillen Kämmerlein wie aber auch das Challengen durch Stakeholder war, um eine funktionierende Strategie zu entwickeln. Ganz besonders spannend fand ich die Betonung, dass es eben auch explizit gemacht werden muss, was man nicht mehr macht. Diese harten Neins müssen gesagt und durchgehalten werden. Sonst ist es keine Strategie, wie sie unter Verweis auf Richard Rumelt (Good Strategy, Bad Strategy) klar stellt.
Talk: Org charts eat culture for breakfast: Why an agile mindset alone won’t help you
Und wenn ich wirklich die Verantwortung radikal an mein Team abgebe und das Management abschaffe? Von seinen ganz speziellen Erfahrungen berichtete Björn Waide aus Hannover. Mich faszinierte dabei sein Festhalten an diesem Umsteuern, um gute Leute und gute Ideen zu haben – obwohl das Team einige Schwierigkeiten bei der Umstellung hatte.
Beitragsbild: Mind the Product, alle Fotos hier: https://flickr.com/photos/87908589@N08/albums/72157719985685380/page1