Konzertkritik: Bosse / Tonhalle München

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Musik

Das Konzert von Bosse in der Tonhalle München war toll, und ich habe schon auf dem Heimweg spontan entschieden, dass ich darüber etwas schreiben möchte. Ich bin kein ausgebildeter Musikjournalist, und mir ist es auch etwas peinlich, über Musik zu schreiben, weil mir das kritische Instrumentarium fehlt. Aber ich will es trotzdem versuchen, weil mir das emotionale Sensorium sagt: Das war toll. Und nach dem Seminar Kulturberichterstattung vor gefühlt 100 Jahren müsste ich dafür auch fachlich in der Lage sein. Über Filme, Bücher und Produkte schreibe ich ja auch in diesem Blog. Da habe ich keine Kastagnetten, äh, Manschetten.

Wenn ich auf ein Konzert gehe, bereite ich mich mit einer Online-Recherche vor.

  1. Wie ist die Setlist? Spielt der Künstler immer die gleichen Lieder in der gleichen Reihenfolge? Dafür ist ein Angebot wie Setlist.fm hervorragend. Ich hoffe, dieses Wiki für Setlists wird nie geschlossen. Ich habe jedenfalls gerade eine Pause vom Bloggen gemacht und die Setlist eingetragen. Denn Bosse hat die gleiche Setlist gespielt wie bei seinem Gig in Offenbach. Das habe ich während des Konzerts kontrolliert und wollte ich jetzt für die Nachwelt dokumentieren. Das ist eine der Schwächen des aktuellen Internets: Alle Welt filmt mit, aber an die Handyvideos und andere Metadaten kommt man nicht geordnet heran, obwohl so viele Daten vorliegen.
  2. Wann beginnt das Konzert? Das ewige Rumstehen, Anhören der uninteressanten Vorband – dafür habe ich die Karte nicht gekauft. Dafür lasse ich mir gern Snobismus vorwerfen. Es hat auch mit meinem Alter und den beginnenden Rückenschmerzen zu tun, die dann auftreten, wenn ich stundenlang herumstehe. Leider steht das in den meisten Rezensionen nicht drin. Um 21 Uhr ging es los – bis zum München-üblichen pünktlichen Schluss um 23 Uhr.

Bosse turnt auf der Bühne herum wie Chris Martin von Coldplay, ohne dessen Athletik oder Sehnigkeit zu haben. Nach zwei Liedern kündigt er schon an – ich bin jetzt komplett fertig. Bosse ist ein Unterhalter, und das findet man deutschsprachigen Künstlern meiner Meinung nach sehr selten. Nach eigenen Angaben hat Bosse bei dem Konzert in der drückend warmen Tonhalle seinen eigenen Schwitzrekord für das Jahr aufgestellt. Sein schwarzes T-Shirt war nach zwei Dritteln des Konzert komplett mit Schweiß vollgesogen. Wenn jemand Goldfische dabei habe, könne er die ihm geben, sagte Bosse. In seinem Shirt könnten die problemlos überleben.

Was mir an Bosse gefällt, ist sein Bekenntnis zu gefühlvollen Texten. Er ist irgendwie post-ironisch, würde wohl auch ein Harald Schmidt sagen. Er singt, was er denkt. Er berichtet von seinen Erlebnissen. Man könnte auch sagen, er ist zu politisch korrekt. Als er für einen Gang durchs Publikum von der Bühne geht, endet dieser Gang bei der Studentin, die für die Hilfsorganisation Viva Con Aqua die Fahne schwenkt. Damit sind wir auch wieder bei Coldplay und Chris Martin. Auf Konzerten der Briten sieht man solche Kooperationen zwischen Musiker und Charities auch. Coldplay ist zum Beispiel eines der Testimonials für Oxfam, gefühlt seit Ewigkeiten. Das kann man abtun als ein Feigenblatt, mit dem man zeigen will, dass man zu den Guten gehört. Aber auf seine authentische Art glaubt man Bosse das an diesem Abend sofort, dass ihm die Sache etwas bedeutet. Er hat auch schon Projekte der Organisation besucht, so wichtig ist ihm das.

Er unterhält die Menschen, weil er selbst so gut gelaunt ist. Als er den Song „Nachttischlampe“ einführt, erzählt er davon, wie schwer es für ihn geworden ist, wirklich von Einsamkeit zu erzählen in seinen Texten. Mit einem zehnjährigen Kind ist ihm die abhanden gekommen.

Bosse unterhält in Tonhalle München

Was mir auch gefällt, ist seine Koketterie mit dem Alter. Einer der Bandkollegen ist über 40, und der bekommt sein Fett dafür weg. Er plaudert von seiner HNO-Ärztin, die ihm für gesangliche Notsituationen einen Cortison-Spray verschrieben hat. Und einen Song muss er gar abbrechen, weil er in der bekanntermaßen schlecht klimatisierten Tonhalle keine Luft mehr bekommt. Und das Gleiche macht er dann noch einmal für einen Zuschauer, der in Reihe 5 oder 10 blass geworden ist. Der/die kriegt Wasser, ein Snickers und darf sich etwas am Merchandising-Stand aussuchen.

Wie ist die Musik jetzt eigentlich gewesen? Um die habe ich mich ein bisschen gedrückt. Der Ton in der Tonhalle ist immer tendenziell schlecht. Der ein oder andere Toningenieur kriegt das besser hin, der andere nicht. Besonders wenn die Mitten fehlen, kann ein Konzert Spaß machen. In der Mitte wird es gern mal breiig und die Stimme des Sängers säuft ab. Frauen haben da nicht so das Problem. Sparsame Instrumentierung wird jedenfalls von der Halle in der Regel belohnt. Also von der Akustik der Halle.

Bosse war fabelhaft gut zu verstehen, auch für Menschen, die nicht alle Texte aus seinem Oeuvre kennen. Also Menschen wie mich. Man muss auch dazu sagen, dass ich zu Konzerten immer Ohrenschützer trage, so richtig semiprofessionelle für Hobbymusiker. Mein erster Hörsturz war mit nicht einmal 20, und das muss ich nicht noch einmal erleben. Vor einem Tinnitus graut es mir.

TL;DR

Bosse ist ein Netter, den will man beinahe knuddeln – wäre er nicht so verschwitzt. Als Live-Act ist er ein Erlebnis, das man nicht verpassen sollte.

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