Diese Meisterleistung reiht sich ein in die kreativen Ergüsse der Marketingabteilungen, die aus „From the Cradle to the Grave“ im Deutschen „Born to Die“ gemacht haben. Der erste Teil hatte außer der eingedeutschten Hauptfigur die falsche Konjugation beim Verb111. „Finding Nemo“ erzählt von der Reise, die Nemos Vater Marlin und seine Zufallsbekanntschaft Dorie machen, um Nemo zu finden. Das Partizip Präsens ist ganz genau richtig. Der Weg ist das wichtigste, das Ziel wird nur mehr kurz abgehakt am Ende des beliebten Films.
Das ist auch die Prämisse für den zweiten Film. Mittlerweile bilden Dorie, Marlin und Nemo eine glückliche Patchworkfamilie im Riff. (Was immer noch modern ist, und auch schon im ersten Teil war. Republikaner in den USA werden diesen Film hassen.) Wenn man so will, ist Marlin der Vorgänger von „Transparent“. Denn Nemo müsste jetzt eine Frau sein sein, und auch Marlin müsste jetzt Marlene sein. Clownfische ändern im Laufe ihres Lebens das Geschlecht. (Das weiß ich dank des verstörendsten Plakats, das je ein Zoo hat drucken lassen. Danke, Tierpark Hellabrunn. Die Kampagne bekomme ich nicht aus meinem Kopf, und ich bin schon gespannt, wie ich das meinen Kindern erklären soll.)
Diesmal geht Dorie verloren. Diesmal ist sie dran mit der Suche nach ihren Eltern. Der Meister des Flashbacks ist ein Mitarbeiter von Pixar: Die Vignette aus „Oben“, in der Mr. Fredriksson sein ganzes Leben als Film vor dem inneren Auge vorbeizieht, gehört zum dichtesten Storytelling, das ich je erleben durfte. Und auch diesmal ist das wieder so. Natürlich erzählt „Findet Dorie“ auch vom Gefundenwerden, und nicht nur bei mir kullerten da die Freudentränen. Wie sehr die Menschen bei Pixar an ihren Geschichten feilen, bevor sie verfilmt werden, kann man in „Creativity, Inc.“ nachlesen, dem Buch des Pixar-CEOs. Der Stoff ist alles. Der muss sitzen, bevor die aufwändigen Trickszenen gemacht werden. 600 Animationsspezialisten arbeiten das aus, was der Brain Trust für gut befunden hat. (Ja, so heißt der wirklich bei Pixar.)
Der Oscar für den besten Animationsfilm dürfte auch in diesem Jahr Pixar sicher sein. Diese Kategorie verdankt ihre Existenz den bezaubernden Werken aus Kalifornien. Und dann Pixar kam es auch zur zweiten Disney-Renaissance meines Lebens. So ein feministischer und dennoch missverstandener moderner Klassiker wie „Die Eiskönigin“ wäre ohne die kreative Zusammenarbeit der Spitzen des Disney-Studios und von Pixar nicht möglich gewesen. Eine Zeit lang war die hüpfende Lampe vor dem Film das größere Versprechen als das sich im Wasser spiegelnde Märchenschloss.
Teile von „Findet Dorie“ sind auf dem Papier ein Malen-nach-Zahlen-Bild. Alte Freunde wie die Surferschildkröten, aber auch Helfershelfer beim Reisen wie die Seelöwen, der Oktopus, die Walhaidame oder der Beluga sind Merchandising-geeignet. Aber in erster Linie sind sie eine Bereicherung der Welt von unseren geschuppten Freunden. Und Dorie ist die Wärmequelle der Nemo-Sagen, das wird im zweiten Teil noch klarer. Auch wenn sie Gedächtnisschwund hat, ist sie der liebenswerteste Fisch im Pazifik. Noch liebenswerter als Haihappen Nemo.
Geringeren Filmkräften wäre das zu einer Art Nummernrevue verkommen, aber Pixar schafft ein weiteres Meisterwerk. Wieder einmal widerlegt Pixar die Regeln für Fortsetzungen, die nicht geplant waren – „Scream“ hat doch nicht immer recht gehabt. Vor allem für Eltern hält der Film genug Material zum Schmunzeln und Innehalten bereit, über die konkreten Erlebnisse hinweg.