Woher kommt der Chatbot-Hype? Gedanken vom Vocer Innovation Day 2016

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Chatbots, the new frontier.

Seit 1997 entwickle ich journalistische Produkte im Netz, erst als Journalist für den Desktop. Später als Produktmanager, seit 2011 auch Responsive Design für die mittlerweile mobile Mehrheit. All diese Dinge, die ich in dieser Zeit gelernt habe, sind bei dem Thema „Sprache als nächstes User Interface“ nur bedingt zu gebrauchen. Klar, man braucht immer noch Klarheit in der Sprache und in der Nutzerführung.

Sprache als User Interface

Das ist ein großes Thema, ich möchte mich heute um die geschriebene Sprache kümmern. Wo kommt Sprache zum Einsatz in neuen Kontexten? Ich schreibe einem Messenger-Kontakt, dass ich News zu einem bestimmten Thema erhalten möchte, etwa zum Transfermarkt in der Fußball-Bundesliga, und die unermüdliche Maschine schickt mir fortan Links zu diesem Texten. Das ist ein anderer Umgang mit Sprache als der, wenn ich Dinge in die Google-Suche tippe. Aber wir können hier wohl an der Phrasierung, die SEOs aus den umgangssprachlichen Fragen herausgezogen haben, etwas lernen. „Was ist xx yyy?“ ist ein beliebter Suchterminus.

Erst in der Session beim Vocer Innovation Day 2016 habe ich verstanden, warum die Medienhäuser so wild sind auf diese neue Möglichkeit, viel Engagement in die Beziehung mit den Nutzern zu bringen. Das versuche ich mal zu erklären:

no filter, just me

Messenger enthalten immer noch alle Nachrichten, die mir meine Kontakte senden. Es gibt keinen Filter, eine algorithmische Auswahl von Posts, die ich in meinem Feed sehe. Das ist ganz anders als im zentralen Produkt der Social Media-Riesen Facebook, Twitter, Instagram. Da wird gefiltert. Nutzer sehen kaum zehn Prozent aller Nachrichten im Newsfeed bei Facebook, als Beispiel.

Der Nutzer bekommt die volle Ladung mediale Beschallung. Messenger sind die neuen Push-Nachrichten aus Apps. Nein, sie sind sogar eine Neuauflage einer neuen Welle an Push-Nachrichten aus Apps, und zwar aus Apps, in denen wir die Push-Nachrichten nicht abbestellen.

Kein Filter. Das müssen wir einmal sacken lassen. Der volle Durchgriff. Als Medium kann ich wieder senden. Ich glaube, das ist der Appeal, den die Medienhäuser, die etwa auf den Chatbot von Spectrm setzen. Das hatte ich vor der tollen Session mit Martin Hoffmann von Resi und Bastian Pech von Spectrm noch nicht verinnerlicht. Ich habe mich bisher oberflächlich mit der Frage beschäftigt, ob die Sites, die wir bei TargetVideo betreiben, gute Lieferanten von Chatbot-Futter wären. Da war meine Antwort nein. Nach der Session sieht die Antwort anders aus. Ich habe ein paar Ideen, die ich ohne den Besuch in Hamburg nicht gehabt hätte. Dafür hat sich die Reise schon gelohnt, auch wenn ich das vor dem Businesstrip nicht wusste.

Diese Art, die Chatbots zu benutzen, als Breitseite aufs ganze Publikum, wird sich schnell totlaufen. Auch Spectrm ist schlauer als das. Die gut funktionierenden Bots richten sich an eine eng begrenzte Zielgruppe, etwa Fans von Werder Bremen, die an Transfermeldungen ihrer Mannschaft interessiert sind. So funktioniert nämlich das Onboarding bei dem ersten deutschen Bot, dem Transferticker von Bild und Spectrm. Damit ist Spectrm auch auf der Entwickler-Konferenz F8 von Facebook aufgetreten.

Auch ein Chatbot muss einen Mehrwert bieten

Die Frage an Produktmacher in journalistischen Umfeldern muss jetzt lauten: Wie kann man die Bots gestalten, dass sie dem Nutzer dauerhaft einen Mehrwert bringen? Der Churn muss ja niedrig bleiben. Nur ein dauerhaft aktiver Nutzer ist ein guter Nutzer. Ich glaube, wir werden hier genauso Dinge lernen über Personalisierung wie es die App-Betreiber schon in den letzten Jahren auf den mobilen Betriebssystemen getan haben. Die Masse aus Massenpublikum gibt es nicht. Wir sind alle individuell. Und das Adressieren dieser Individualität wird der Schlüssel sein, damit Nutzer nicht nur ein paar Messages, sondern mehrere Monate oder sogar noch länger abonniert bleiben.

Der Inhalt vertieft die Beziehung zwischen dem Medium und dem Individuum. Der Chatbot in einem Messenger wird zur Chance für die Medien, wirklich ein Individuum zu erreichen, nicht nur eine Persona. Das finde ich eine hochspannende neue Fragestellung.

Das ist der Adressierung von Newslettern im E-Commerce-Bereich nicht unähnlich, wo auch personalisierte Angebote die Conversion und den Lifetime Value steigern können.

Aber es ist für journalistisch denkende Menschen neu. Alles im Journalismus zielt darauf ab, eine möglichst große Menge an Menschen zu erreichen.

Sender – Empfänger

Die Druckmaschinen, das Radio, das Fernsehen – einer an viele. Alles das Gleiche. Das Internet hat die Kommunikation von vielen an viele ermöglicht, Facebook hat es zu einer Realität für viel mehr Beteiligte gemacht.

Messenger sind vollends entbündelt und man muss sich überlegen, wie man produktseitig Themen wieder bündeln kann, um sie von den Prozessen automatisierbar und beherrschbar zu machen. Kein Nutzer wird sich seine Interessen konfigurieren, wenn das schwierig ist. RSS-Feeds und News-Aggreatoren, die so funktionieren, sind etwas für die Power-User – keine Chance auf den Massenmarkt.

Ich bin gespannt, wie lange das Fenster der Kommunikation mit den Nutzern über Chatbots offen bleibt, bevor auch wieder Social Media-Gamer wie Upworthy das Fenster mit Müll zustopfen.

Gesprochene Sprache als User Interface

Stimme als User Interface werde ich hoffentlich noch einmal besichtigen in diesem Blog. Meine ersten Erfahrungen mit Amazon Echo waren erstaunlich gut, auch wenn auch mir schon Limitierungen aufgefallen sind.

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