Es ist Zufall, dass fünf Wochen nach dem Serienstart von „Mindhunter“ bei Netflix, einer der berühmtesten Verbrecher des 20. Jahrhunderts gestorben ist. In hohem Alter, anders als seine Opfer.
Charles Manson is dead at 83. His legacy, explained. – Vox:
Charles Manson, the notorious cult leader whose instigation of the brutal Manson Family murders in the late 1960s profoundly bruised American culture, died on Sunday night of natural causes after a brief period of hospitalization in Kern County, California, according to the California Department of Corrections and Rehabilitation.
Mindhunter: In einem Land vor Serienkiller-Zeit
Aber Manson ist auch die Folie für das, was die FBI-Ermittler in „Mindhunter“ so tun. Er ist der Vorzeige-Irre ihrer Zeit. Sie reden mit Verbrechern, die das Muster „Ich war jung, hatte die Gelegenheit und braucht das Geld“ sprengen. Weil sie ihre Opfer verstümmeln, nach dem Tode vergewaltigen oder sonstige Dinge tun, die sich die ermittelnden Beamten oft nicht vorstellen können.
Spätestens seit „Das Schweigen der Lämmer“, das ich wie wohl fast jeder ein bisschen zu jung und ein bisschen zu allein gesehen habe, faszinieren mich Serienkiller. Rote Fäden an der Wand, Diagramme, Schwarz-Weiß-Fotos – das wurde zum oft erzählten und immer gleich aussehenden Thema in US-Kriminalserien oder -Filmen. Auf Anhieb, ohne lmgtfy, fallen mir ein:
- Criminal Minds
- Profiler
- Der Knochenjäger
- American Psycho
- Sieben
Die IMDB kennt mehr als 3000 Einträge zum Thema Serienkiller.
Was ist das Besondere an „Mindhunter“? Der frische Blick auf das Genre durch den Kunstgriff, in die Zeit vor Profiling und echter psychologischer Arbeit. Bevor die Studien gemacht wurden, gab es Ermittler, die in ihrer Arbeit vor ungelösten Rätseln standen. Prüde, oftmals unerfahrene Polizisten – sie bekommen Besuch von den beiden männlichen Hauptfiguren der Serie „Mindhunter“. Die sind FBI-Agenten und gleichzeitig Kriminalistik-Dozenten von der FBI-Akademie in Quantico. Und ganz ehrlich, wenn die lehren dürfen, dann kann ich das auch tun. Aber ich habe auch den Vorteil, dass ich mir mein ganzes Serienkillerwissen in Jahrzehnten Hollywoodproduktion aneignen konnte, mal mehr oder weniger appetitlich serviert. (Skalp und Verstümmelungen in US-Produktionen sind ja ok, aber nackte Geschlechtsteile – um Gottes willen. Dafür hat der Set-Designer ja L-förmige Oberbetten erfunden.)
Die Serie hat diesen Sog, der schwer zu beschreiben ist, und der langen Expositionen zu eigen ist. Ich finde ihn bei Sam Raimis „Spider-Man“ und auch bei „Interstellar“. Er ist langsam, bedrohlich, beharrlich, und er hat damit zu tun, dass er seine Figuren und Konstellationen ernst nimmt. Wie tickt eigentlich ein FBI-Agent, der eine progressive Freundin hat, die ihren Doktortitel anstrebt, und der mit seiner Krawatte auf liberalen Campus anecken muss – wenn der sich verliert, findet er dann etwas Neues? Oder der gesetzte Agent, der schon alles gesehen hat – wenn er dann doch Dinge sieht, die sein Weltbild aus den Angeln heben? Und die strenge Forscherin, die den beiden systematisches Arbeiten beibringen muss? Die Besetzung ist gelungen, vor allem Anna Torv alles Fringe-hafte abzuschminken, ist eine Leistung.
Mindhunter ist toll, und das sagen auch die derzeit 8,7 Punkte bei der IMDB.
So, und jetzt schaue ich die fünf Folgen, die mir noch fehlen. Natürlich nicht bei der Arbeit, wie das 30% der Netflix-Nutzer tun.