Filmkritik: The Revenant

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Film
Es war schon ein Kritiker da, der all das an „The Revenant“ kritisiert hat, was ich auch kritisieren will. Aber das hindert mich natürlich nicht daran, das Internet mit meiner Sichtweise vollzuschreiben. Auf Deutsch habe ich es nicht gefunden. Deswegen mache ich das jetzt hier. Achtung: Spoiler. Wer „The Revenant“ noch vorurteilsfrei lesen will, sollte jetzt aufhören.

Was passiert in „The Revenant“?

Die Geschichte ist bekannt: Mann ist mit seinem Halbblut-Sohn mit Fellhändlergruppe unterwegs. Dabei wird er von Bär schwer verletzt. Die Gruppe lässt ihn zurück, zum Sterben in der Wildnis. Der Rädelsführer tötet seinen Sohn. Mann überlebt, wider alle Wahrscheinlichkeit, um Rache zu nehmen. Er nimmt Rache, findet Frieden. Abspann.

Man kann das noch kürzer zusammenfassen, in einem Haiku, das mir während des Kinobesuches eingefallen ist:

You Came All the Way
Just to revenge your son?
That’s The Revenant

(Ist MoviesAsHaikus.com noch frei? Muss mal einen Domainblogger fragen. Im Ernst: http://reviewinhaiku.com/ gibt es bereits. Und eine Kritik zu The Revenant auch: http://reviewinhaiku.com/post/140124541085/the-revenant)

Bear of a Movie
Attacking Leo’s senses
Visually stunning

Ich glaube, Tom Hardy muss den Satz sagen „You came all the way just to kill me?“ Da habe ich mich inspirieren lassen.

Sprache ist nicht so wichtig in modernen Filmen, darüber habe ich vor kurzem mal was geschrieben. Hier macht das Sinn – die Männer sind eh Eigenbrötler, und der wichtigste von ihnen ist auch noch lebensgefährlich verletzt und meistens allein. Selten habe ich mich in einem Film so über die Untertitel gefreut. Das ist immer dann der Fall, wenn Ureinwohner oder Franzosen sprechen. Die sind erfreulicherweise nicht eingeenglischt. Die Darsteller versteht man als Nicht-Muttersprachler wie ich teilweise nicht. Auf DiCaprio konnte ich mich noch einhören, auf Hardy nicht. Also unbedingt Untertitel auf der Blu-Ray anmachen. DiCaprio spielt wirklich toll, auch wenn er immer den Leidenden, aber Starken geben muss – das hat man schon nuancierter gesehen. Mein Lieblingsfilm mit ihm ist wohl „Catch Me If You Can“, glaube ich. Auch einer meiner Lieblings-Spielbergs.

Die Bilder sind aber so schön

Selten sieht ein Film auf der großen Leinwand so toll aus wie „The Revenant“. Oscar-Dauergewinner Name einfügen Emmanuel Lubezki hat den gedreht. Viel kennt man schon von seiner Arbeit für Malick. Manchmal scheint der sehr durch, vor allem beim visuellen Element 1. Aber der Reihe nach. Der Film hat im Grunde vier Elemente, die seine Bildebene bestimmen:

  1. Schnittbilder von grandioser Schönheit, die den Winter, die Kälte, die Schönheit, Natur, Wolken, Berge zeigen. So bin ich auch auf das Beitragsbild gekommen, das diesen Post illustriert. Es ist kein Material aus dem Film, sondern ein Stockbild, das ich bei Unsplash gefunden habe. Aber es könnte eins. Majestätisch, kalt, distanziert. All das ist „The Revenant“ nämlich. Eine Modenschau des visuellen Süßkrams. Schnittbilder ist natürlich untertrieben, es sind Vignetten oder Bilder wie bei Instagram, die mit der Wirklichkeit nix zu tun haben.
  2. Kampf, mit Schusswaffen, Messern, Pfeilen, Krallen – bis zum Tod, zwischen Mann und Mann, weißem Mann und rotem Mann, Mann und Tier.
  3. Wanderungen, zu Fuß, zu Pferd, auf den Händen. The Revenant ist Mad Max in dem Sinne nicht unähnlich, dass er vorantreibt. Immer weiter. Hugh Glass will nicht sterben.
  4. Digitale und andere Effekte: Der Bär, der DiCaprio angreift, ist natürlich kein echter. Und als es dem Mann einmal besonders kalt wird, krabbelt er in ein Pferd, das getötet wurde, um sich an dessen warmen Eingeweiden zu wärmen. Schauspielern ist ein Full-Contact-Sport. Nur dann bekommt man den Oscar, so scheint es.

Der Film nimmt sich so ernst, dass man unwillkürlich lachen muss. Das haben zumindest einige in der Vorstellung mit Brancheninsidern aus der Videotechnikindustrie getan – und die haben schon einiges gesehen, nehme ich mal an. Ich habe mich aufs Augenrollen beschränkt, kann sein, dass ich mir das vom guten alten Oer-Erkenschwicker Eisdielenfan abgeschaut habe.

Alles an dem Film schreit: Schaut her, wie toll ich bin. Er zeigt, was er hat. Wenn er ein Mann wäre, dann ein eingeöltes Sixpack, oder was man so macht. Keine Angst, Leo zieht auch mal sein Hemd aus, und zeigt ein bisschen Oberkörper. Wenn auch durch Narben verunstaltet.

Vieles ist aber durchsichtig und fällt dem geübten Zuschauer auf – ich hatte Zeit, eine Menge mentaler Notizen zu machen. Mehr als an einem hervorragenden Film, da muss man hinterher dekonstruieren mit einem filmwissenschaftlichen Blick. Es ist ein ganz herausragend polierter Monumentalfilm in der Schule alter Klassiker, mit auf alt getrimmten Teilen und vielen neuen Elementen, über die in der Berichterstattung drübergegangen wurde. Denn die Zahl der Spezial-Effekte dürfte bei dem Film, der so naturalistisch sein will, erheblich sein. Das geht gleich mit den Pfeilen in der ersten Szene, einem Angriff auf ein Lager der Fellhändler/-schmuggler los. Da sterben gleich mal 30 Männer. Und Tiere auch – und wie viele Tiere in dem Film sterben.

Ein paar Momente, wo ich mich sehr gewundert habe, weil sie einen ganz leichten Blick hinter die Kulissen des Filmemachens erlauben:

  • Da krabbeln Statisten so durchs Bild, dass sie in der Kameraaufnahme bleiben, obwohl es sinnvoller wäre, in die andere Richtung zu flüchten.
  • Im Winter bleibt eine Tür offen stehen, damit der Kameramann dramatisches Licht hat
  • Die Heli-Kamera oder Kabel-Kam ist wohl ein Drohne. Wie bei der Herr der Ringe wird Leo ganz allein in der Wildnis gezeigt. Auf einem zugefrorenen See, vor majestätischen Bergen. Zu dramatischer Musik
  • Die Lightbox „seltsame Aufnahmen von Bäumen im Wald“ aus Adobe Stock oder einem anderen Video-Stock-Anbieter wird komplett leer gespielt. Zur Mitte des Filmes hatte ich die Aufnahmen von Baumstämmen im Gegenlicht satt. Noch eine, und ich hätte in den Popcorn-Eimer erbrochen. Übrigens: nix trinken oder essen während des Films – sonst kommt man wirklich in Versuchung, den Eimer zu gebrauchen.

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