Drei Indie Web Camp-Mitstreiter im Weggla – Nürnberg 2016

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Konferenz / Produkte / Responsive Design / Softwareentwicklung / User Experience / Web / Wordpress
Die drei Brillenträger, die die Attraktion auf dem Indie Web Camp Nürnberg 2016 waren, heißen Jeremy Keith, Aaron Parecki und Tantek Celik. Tantek hat ein 1-Buchstaben-Twitter-Handle: twitter.com/t. Sie leben und atmen Web, das offene Web.

Sie kämpfen gegen Silos. Und wie auf jedem Barcamp sind ein paar Unerschrockene, zu denen ich mich auch zähle auch dabei. Diese stellen jenen Fragen aus ihrem Horizont. „Was sind Silos?“ Die Frage ist berechtigt, und sie muss auch beantwortet werden.

Was sind also Silos, gegen die Indie Web Camp-Mitstreiter sind?

Dann mache ich mal den Erklärbär: In Silos wird Zeug reingepumpt, und es kommt nur auf eine bestimmte Art und Weise wieder heraus. Ein Eingang, ein Ausgang, der Silobesitzer bestimmt die Regeln.

In der digitalen Welt sind damit die großen Social Media-Plattformen gemeint, Facebook, Snapchat und Twitter, aber auch Medium.com gehört dazu. Alle Plattformen dieser Art sollte man als kritischer Webnutzer unter einen Silo-Verdacht stellen. Dazu gibt es die Prinzipien POSSE und PESOS. POSSE ist das Wunschbild, PESOS akzeptabel für Dienste wie Instagram, zur Not.

POSSE

PESOS

Die Mitglieder der Indie Web Camp-Bewegung glauben an das Recht und das Bedürfnis einzelner Teilnehmer im Web, ihre Stimme auf ihrer eigenen Seite zu Gehör zu bringen. Warum? Die großen Unternehmen nehmen sich Rechte heraus, die sie nicht abtreten wollen. Sie stellen die Plattform, sie legen in ihren Nutzungsbestimmungen die Regeln fest. Dazu gehört die (inzwischen beigelegte) Debatte ums Stillen und Bilder vom Stillen, aber auch die Haltung in der Waffenkauffrage. Eine Facebook-Fanpage gehört immer Facebook, man besitzt die nicht (zu leicht ist sie verloren).

Und die Großen von heute können die Toten von morgen sein. Wer ist schon von den Einstellungen von Produkten erwischt worden? Jeder, bei mir war es Google Reader. Bei anderen MySpace, oder Geocities. Dabei ist der Fokus auf die „personal site“, wie das im Laufe des ersten Tages immer wieder genant wurde, wichtig. Diese Begriffsschärfe vermisste ich dann auch in Diskussionen mit anderen Camp-Teilnehmern.

Natürlich gibt es ein Bedürfnis, seine Daten nicht öffentlich zu machen, schon gar nicht als Unternehmen. Da gibt es ein Recht auf Unternehmensgeheimnis. Ich will auch meine Firmenkonzepte nicht überall im digitalen Untergrund finden. Apple und Google kämpfen ja auch immer gegen Leaks – bevor sie mit ihren Produktenthüllungen um Aufmerksamkeit kämpfen.

Aber darum geht es dem Indie Web Camp gar nicht. Es geht um die eigene publizistische Stimme. Diese Kombination von „Ich habe die Technik im Griff und kann mir eine Webseite machen“ und „Ich habe eine Stimme, die ich im Netz benutzen will“ scheint schon sehr amerikanisch zu sein. Ich wünschte mir die von viel mehr deutschen Internetbewohnern. Fakt ist: Einige der Anwesenden haben gar keine eigene Internetpräsenz. Ja, das gibt es 2016 noch bei den Teilnehmern eines digital zwar nischenhaften, aber eben doch sehr digitalen Events.

Publizistischer Impetus kann auch mit Uneitelkeit und Nahbarkeit einhergehen. Liegt nicht nahe, ist aber so. Ich habe zwei Sessions mit Jeremy Keith gemacht, daher will ich das mal an dem Iren, der in Brighton arbeitet und Clearleft mit gegründet hat, festmachen. Er sagt auch mal: „Das weiß ich nicht.“ Als Session-Lead bei einer Sitzung, die er morgens mit einem Klebezettel erst gepitcht hat. Er stellt immer wieder den Bezug zur Erfahrungswelt der Teilnehmer her. Er fragt, ist ernsthaft interessiert. Wahrscheinlich ist das auch seine Workshop-Erfahrung aus einer kundenorientierten Agentur. (Ich muss zugeben, ich habe bei erfahrenen Menschen immer ein gutes Gefühl, wenn diese auch mal sagen, dass sie etwas nicht wissen. Auch wenn das eine Selbstverständlichkeit sein sollte.)

Die deutschen Teilnehmer waren teils sehr zurückhaltend. Ein Drittel hat gefühlt kein Wort gesagt, sondern lieber ein paar Zeilen im Atom Editor oder einem anderen geschrieben. Ist das normal? War mein zweites Barcamp, daher habe ich noch keine Erfahrungswerte.

Danke ans Indie Web Camp Nürnberg

Der Event war das Beste, was ich seit langem besucht habe. Keine Powerpoint-Pointenschlachten von den üblichen Konferenzen, sondern echte Hilfestellung. Das Indie Web Camp wurde zeitweise auch zu einem  Homebrew Website Club. In einer Session mit Aaron Parecki, einem der vier Gründer des Indie Web Camps, haben etwa zehn Leute versucht, ihren Sites Webmentions abzuringen. Mir ist es nicht gelungen, wie ich das auch hier im Blog dokumentiert habe. Und weil ich angesichts meiner kaum vorhandenen Coding-Skills am Sonntag auch nix hätte zustande bringen können, habe ich mir den Hackathon-artigen Tag gespart. Das hätte mir nix gebracht, und euch auch nicht, liebe Mit-Anwesenden. Außerdem muss ich erst mal überlegen, welche meiner Domains meine neue zentralen Ich-Präsenz im Web bleiben soll. Mein WordPress-Blog (das du netterweise gerade liest) ist es wohl eher nicht, dazu ist es zu wenig umfassend. Es bedient nur meine publizistische Ader, nicht aber meine Arbeit als Manager oder Produktmacher. Die Ideen zur Gestaltung einer persönlichen Site waren wirklich sehr gut, aber erst bei der Ausführung zeigt sich, ob sich mir die Veranstaltung wirklich eingebrannt hat.

Ich habe selten eine so egofreie Veranstaltung in der Digitalszene erlebt. Hands on, mit direkter Ansprache von Vordenkern, die ich sonst nur von Twitter und aus dem Feedreader kenne. Toll. Das wäre sicher auch eine Organisationsgebühr wert. Dieses Barcamp war kostenlos. Außer Zug, Hotel, Bahn und Bus habe ich dafür nur 50 Cent bezahlt – für eine Flasche Apfelschorle.

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