Mit dem TGV nach Paris

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Bahn / In eigener Sache / Konferenz
TGV auf schneller Fahrt. Pressefoto SNCF
Was verbindet Europa? Züge, Straßen, und US-amerikanische Filme. Seit ich Tom Cruise in „Mission: Impossible“ am Heck eines Eurostar-Zuges habe hängen sehen, habe ich ein Faible für französische Schnellzüge. Der Eurostar ist nur ein verträglicher Name für das Spitzenerzeugnis der französischen Bahn, den TGV. Und der fehlte mir noch auf meiner Bucket List. Das ist der zweite Grund, warum ich zum Besuch des WordCamp Europe 2017 in Paris nicht geflogen bin, sondern mit dem Zug gefahren bin. Der erste: Im Jahr 2016 habe ich aus meiner Sicht zu wenig auf meinen Kohlendioxid-Ausstoß geachtet. Das sollte in 2017 besser werden.

Womit ich nicht gerechnet hatte: Lange Zugfahrten sind wie lange Autofahrten. Lange ändert sich nix, und dann setzt die veränderte Wahrnehmung ein: Ich nehme dann mit frischer Schärfe Dinge wahr, die anders sind, als ich es das gewohnt bin.

Ein Beispiel sind alte Bahnhofsschilder. Mit der Corporate-Schriftart hat die Deutsche Bahn in den letzten Jahren ihre Liegenschaften modernisiert. Die weißen Tafeln mit schwarzer Schrift sind blauen Tafeln mit weißen Buchstaben gewichen. Manchmal findet man an den Stellwerken (wie in Stuttgart-Feuerwach(?)) noch die alten Lettern oder zumindest den Schatten auf dem Putz. Auch die Vorankündigungen von Bahnhöfen vor Tunneln sind noch nicht ausgetauscht worden. Warum auch, viele Schilder sind ja noch gut erhalten. Im Karlsruher Hauptbahnhof hat ein altes Schild (mehr habe ich beim kurzen Hinsehen nicht gesehen) überdauert. Für einen Hauptbahnhof ist das aus meiner Erfahrung als professioneller Bahnpendler dann wiederum ungewöhnlich.

Ich habe Dinge gesehen auf dieser Reise, die krasser waren als das, was ich in Moskau vor zwei Jahren sah. So groß ist das Gefälle zwischen dem behüteten München und der Weltstadt mit offener Armut Paris. Auf dem Weg zum Hotel kommt man an den Nachtstätten vieler dutzend Männer vorbei, direkt unter der Stadtautobahn, neben einem Wertstoffhof, von dem in der prallen Mittagssonne besonders der süßliche Duft von Müll, Unrat und wenig Hygiene aufsteigt. Warum sind die da? WordPress-Botschafter Caspar Hübinger ist der Frage einfach mal nachgegangen. (Lesen! Es sind Flüchtlinge.)

Viele der Männer sind vollkommen apathisch, liegen auf einer Pappe, den Kopf weg von der Straße – sie wollen keine Aufmerksamkeit, sie wollen Ruhe und vielleicht den nächsten Kick. In diesem Viertel in St. Denis, da, wo Paris endet und die Banlieue beginnt, zeigt such der riesige Unterschied zwischen der reichen Kernstadt und den umgebenden Schlafstädten mit ihren 20-, 30-stöckigen Plattenbauten. Straßenhändler mit Früchten gehen einer ganz normalen Beschäftigung nach, aber da sind auch die bettelnden, alten Frauen und die Menschen, denen nach langem Meth-Missbrauch die Zähne fehlen.

Die Fahrt im TGV geht weiter

Der TGV ist in die Jahre gekommen, die Polster glänzen nicht mehr so, und die Spaceklos sind noch enger als in einem Airbus oder sonstigen Flugzeug. Vielleicht weniger laut und etwas wärmer. Im doppelstöckigen Zug kann ich so gerade stehen. Wie machen das größere Menschen?

Auch die erste Klasse (Vorzugspreis fürs frühe Buchen!) ist an diesem Tag bis zum letzten Platz reserviert. Rollkoffermensch um Rollkoffermensch spielt Autoscooter mit Beinen, Tischen und Armlehnen, um zu seinem Platz zu kommen. Kurz vor der Abfahrt steigt die Nervosität der Wegbringenden: Von „Ihr könnt jetzt gehen“ bis „Kuss-Kuss“ ist alles dabei.

Je später der Abend, desto aufgedrehter/quengeliger werden die Kinder an Bord. „Ich habe noch Schokolade für euch“ – Eltern, bitte, welches Problem wollt ihr damit lösen?

In Karlsruhe und Mannheim starrt den Reisenden dann die bundesdeutsche Tristesse entgegen, sodass man die Stadt kaum erkennen kann – beide haben ja eh einen seltsamen Stadtplan. Nordsee, Yves Rocher, Apollo, Döner-Laden, Tipico – Bahnhof. Das könnte überall in Deutschland sein, so gleichförmig sind Städte. Da muss ich an den alten Dieter-Nuhr-Witz denken, wo er sich mit einem Freund treffen will, aber noch in der falschen Stadt ist.

Was lerne ich auf dieser Zugreise? Ich lerne etwas über mich, so wie wir das bei allen Reisen tun. Ich für meinen Teil verreise nicht besonders gern, auch weil das mit der ganzen Familie aufwändig ist. Und wenn ich reise, interessiere ich mich nicht mehr so wie früher für alle andere, ich bin da eher in mich gekehrt und denke über das nach, was die Reise mit mir macht. Vielleicht ist das arrogant oder überheblich, aber es sind für mich wichtige Erfahrungen. Und daher gehört dieser etwa ungeschliffene Text auch auf mein Blog.

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