Gedanken zu „Besser Online 2015“ in Köln #djvbo

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Allgemein
Diese Frage ist immer ein Killer, sie gehört auch zum Standardrepertoire in Bewerbungsgesprächen:

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?

Prof. Dr. Frank Überall, Fernsehreporter aus Köln und Kandidat für die DJV-Bundesspitze, stellte sie dem Abschlusspanel bei Besser Online 2015, einer Konferenz journalistischer Berufsverbände in Köln am 19. September. Mit einer leicht anderen Zahl: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Keiner kann bei der Frage glänzen. Sie ist die klassische Glatteisfrage. Sie zielt auf den Masterplan, was will mein Gegenüber eigentlich?

Die Antworten waren teils witzig, aber sie kreisten alle um das Fortschreiben der Gegenwart mit anderen Mitteln.

So wie „horseless carriages“ der Name der Kutschenhersteller für die ersten Autos waren. Herrje, die ersten Autos sahen sogar aus. Das Bild verdanken wir einem Deutsch-Schweizer.

Foto: Deutsches Museum

Foto: Deutsches Museum

Hansi Voigt dürfte einer der im Moment gefragtesten Journalismus-Macher im deutschsprachigen Raum sein. Er hat Watson.ch gegründet, und vorher war er Chefredakteur bei 20 Minuten.

Voigt verglich Verlage mit Kutschenherstellern, die ihrerzeit ja auch respektable Industrieunternehmen gewesen seien.

Kein Kutschenbauer habe es geschafft, ein Automobilhersteller zu werden. 20 Minuten sei zwar eine sehr erfolgreiche Onlineredaktion gewesen, auch viele Gedanken über Storytelling machen. Dann wäre der Wunsch an ihn herangetragen worden, Print- und Online-Redaktion zusammenzulegen. Der Megatrend Konvergenz hätte für ihn bedeutet, dass er ein Print-Produkt wieder leitet. Da habe er gedacht: „Für mich ist das nix.“ (Und er war Chefredakteur beim Schweizer Magazin Cash.)

Also setzte er sich hin, schrieb ein Konzept, und das war Watson.ch. Ich kenne auf Deutsch nix, was so nahe auch an die technische Qualität von Buzzfeed heranreicht.

Er arbeite jetzt in Zürich mit Leuten zusammen, die nie für eine Zeitung geschrieben haben, ja, die sogar noch nie eine Zeitung gelesen haben. Digital Natives.

Die Zukunft werde außerhalb der ein-, zwei-, drei- und vierspaltigen Berichterstattung stattfinden. Da ist sich Voigt sicher.

Er klingt wie Melissa Bell: Technik ist genauso wichtig in großen Online-Redaktionen wie der Inhalt. Bell ist die Gründungs-Chefredakteurin von Vox.com. Auch wenn die beiden vielleicht 20 Jahre auseinander liegen, sie würden sich auf Anhieb verstehen. Vielleicht kennen sie sich sogar. Die Redaktions-Gruppen, die nach Zürich reisen, würden auch nach Washington oder New York fahren.

Voigt sprach ohne Folien, nur mit einem Browserfenster auf dem Desktop, das sein Produkt zeigt.

Auf dem Desktop.

Voigt: „Desktop ist eine vollkommen verfälschte Sicht.“ Es gehe um die Mobile Devices. Egal, ob die Werbung schon da sei. Print vs. Online sei Quatsch, es gehe um Online vs. Mobile.

Apple devices outline

Nur der Werbemarkt sage, wir wollen die guten Display Ads. 20 Prozent des Traffics von Watson.ch seien auf dem Desktop. Damit erlöse man aber noch 50 Prozent des Gesamtumsatzes. Der Start der AdBlocker auf dem iOS 9 lässt das Verhältnis sicher nicht besser werden. Peace, Man!

Angekündigt als Impuls – es wurde ein freundlicher Arschtritt, dem ihm irgendwie auch niemand krumm nahm. Diese Art von Arschtritt gab es jedesmal, wenn ich bei Besser online war. Allein die Wahrnehmung bleibt, dass sich nicht wirklich etwas im Staate Presse ändert. Vielleicht diesmal, auf Kölsch gibt es ja das Motto: „Arsch huh, Zäng ussenander!“

Und sonst so?

Für Onlinejournalisten ist Besser online so etwas wie das Klassentreffen unter ihresgleichen. Mit dem gleichen Gejammer, kein Haus, kein Auto, keine Pferdepflegerin. Sebastian Brinkmann hat das schon 2011 geschrieben.

Bei Twitter habe ich das auch diesmal wieder gelesen, es stimmt. So wie die dmexco in der gleichen Woche in Köln das Klassentreffen für eine ganze Stufe ist – die gesamte Digitalbranche, ist Besser Online das Klassentreffen für die Klasse mit den Onlinejournalisten.

(Ich habe 2015 getroffen: Kommilitonin, mit der ich vor mehr als zehn Jahren zusammen an der Uni Dortmund war. Redaktionsleiter, für den ich vor zehn Jahren als Praktikant gearbeitet habe. Startup-Gründer, den ich vor einigen Wochen zu meinem Arbeitgeber eingelade habe.)

Wie habe ich die wieder erkannt? Sie zeigen sich im Netz. Damit sind sie beinahe ein Einzelfall. (Kleine Kölner Medien-Spitze.)

Was hat mein Kollege Brinkmann geschrieben:

Was mich wieder schockiert hat: Da sitzen Journalisten (leider viel zu wenige) im Publikum und lassen sich erklären, warum es Sinn macht, sich wie Richard Gutjahr und Christian Jakubetz einen Namen im Netz zu machen, um dann auch an Aufträge zu kommen.

Und auch dieses Jahr durfte diese Skepsis nicht fehlen.

Und dann kommen Fragen wie „Ich muss mich um Haushalt und Kind kümmern – wann soll ich dann noch bloggen?“ oder „Kommt man vor lauter Interaktion mit dem Leser überhaupt noch zum Schreiben?“.

Ah, ‚tschuldigung. Das war 2011.

Inzwischen ist die Fragestellung „Wann denn das alles“ etwas anders: Wenn ich schon Social Media mache, warum muss ich dann noch mit dem Leser kommunizieren? Dabei ist das eh in den allermeisten erst im Nachhinein. Der Nutzer kommt in den Sinn, wenn das journalistische Produkt schon fertig ist.

Das ist aller Ehren wert, wie etwa Martin Hoffman sich mit Trollen bei welt.de herumschlägt, da, wo jetzt wohl alle sind, nachdem sueddeutsche.de die Kommentare dicht gemacht hat.

Prozess vor Produkt von Jeff Jarvis hat wohl noch niemand hier gehört. „What Would Google Do“ ist mittlerweile sechs Jahre alt. Seite 92:

Jarvis-Process-Product-WWGD

Mir fallen wenige ein, die das in Deutschland ernst nehmen. Einer ist Jochen Wegner. Am Relaunch von zeit.de wurden auch 50 Leser beteiligt.

Das ist die Zukunft.

Das Ganze eine Rederei

Was ich nach den Erfahrungen von anderen Konferenzen gemerkt habe: Besser online ist zu wenig diskursiv. In den ganz kleinen Räumen klappt das einigermaßen, im Größen Saal fast gar nicht.

Was Besser online braucht: einen Hackday, so wie den sich das Scoopcamp gönnt. Und am besten werden da Anfängerteams und auch Fortgeschrittenenteams gebildet. Oder längere Workshops, bei denen man einander kennenlernt. Immer noch ist das Gefälle zwischen Printlern und sogar unter Onlinern enorm.

Als säße man in der Zeitmaschine und sei im Jahr 2005 gelandet. Wir wollen aber zehn Jahre in die Zukunft. Überall.

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