Alle reden über Blendle. Lassen Sie uns über das reden, was Blendle nicht kann

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Android / App / Apple / Journalismus / Produkte / User Experience
Die App Stores sind die neuen Gatekeeper unserer Zeit. Das hat uns zum Jahresende noch mal der viel geteilte Post vom Mobile Media Memo gezeigt. (Obwohl der aus dem Juli stammt – da habe ich ihn zumindest noch nicht rezipiert.)

Wer nicht als App da ist, scheint in diesem Weltbild, das es auch bei Konsumenten gibt, gar nicht zu existieren. Ich halte das nach den Erfahrungen im Umfeld einer Nr.1-Entertainment-App (7TV, die Mediatheken-App der ProSiebenSat.1 Media SE) für übertrieben. Distribution ist das Problem für die meisten Apps. Da scheitern die meisten. Sie schaffen es nur wenige Nutzer auf ihre Existenz hinzuweisen. Die zweite Hürde: Retention. Was ist die Installation einer App gegen den Gebrauch einer App, würde Brecht heute schreiben. Oftmals sind Push-Nachrichten gefühlt die einzige Interaktion, die ich mit einer App habe. Wenn sie nerven, fliegt die App schneller runter.

App-Rost

Ich für meinen Teil lösche das Symbol einer App, die ich nicht dauerhaft benutzen will, schnell vom Home-Screen meines Android-Telefons. Und dann verkümmert sie oftmals im App-Drawer. Den Aufwand fürs Deinstallieren treibe ich nur, wenn ich Platz schaffen muss auf einem Device.

app-store-anteil

Bis zu diesem Post hatte ich die Blendle-App für Android noch nicht. Ich dachte, sie gäbe es nicht. Denn: Die App Stores verlangeneinen Anteil des Umsatzes der App als Gegenleistung für den App-Vertrieb. Daher kann man noch kein Guthaben für Blendle in der App kaufen. Das wird etwas verklausuliert auch in den FAQ von Blendle erklärt:

Leider ist das sowohl in der iOS als in der Android App noch nicht möglich. Irgendwann hoffen wir das hinzufügen zu können. Das könnte aber noch ein bisschen dauern. Guthaben aufladen geht ganz einfach im Browser am Smartphone.

Die Web-Anwendung Blendle finde ich vorzüglich. Jeder Artikel sieht so aus, wie ich den von der Marke auch erwarten könnte. Headline, Fließtext und Logo – alles im Design des jeweiligen Medienhauses gearbeitet. Bis auf wenige Ausnahmen sieht das besser aus als das eigentliche Online-Produkt des jeweiligen Hauses. Das Blendle-Team zaubert hier, und verschafft darüberhinaus dem Medienunternehmen Umsatz. Ganz toll wird hier mir Webfonts gearbeitet. So in etwas sieht das aus:

Blendle-Screenshot

Kleine Blendle-Produktkritik

Das Logo oben links, wo es im Web hingehört. Der Preis des Artikel direkt an der Ware. Darüber der Hinweis aus dem Social Graph des Blendle-Nutzers, warum dieser Artikel empfohlen wird.

Kuration geht auch analog

Vor vielen Jahren habe ich in der Mayerschen Buchhandlung zum ersten Mal diese kleinen Hinweise als Grüße des Buchhändlers gesehen. Die waren handgeschrieben, aber sie erfüllten den gleichen Zweck. Kuration ist sehr erwünscht, vor allem die soziale – sogar bei Print-Waren.

Der Preis steht auch gut sichtbar drüber, die Vielfalt der möglichen Preise ist nur ein bisschen verwirrend. So ist etwa die Spiegel-Titelgeschichte ganz schön teuer. Was ich mir wünsche: Dass einzelne Artikel mit der Zeit günstiger werden. So könnte man eine Warteliste pflegen und das Medienhaus findet den richtigen Preis heraus.

All das signalisiert die Wertigkeit des Produktes, und ich habe noch nicht von den zentralen Eyecatchern Überschrift und Anreißertext gesprochen, die das auffälligste Merkmal sind.

Alles in allem: Blendle ist toll, und eins meiner Medienhighlights des Jahres 2015.

Ich habe mein Guthaben schon mehrfach im Web aufgeladen, weil ich daraus meine neue Sonntagslektüre gewinne. (Beim Bäcker meiner Wahl gibt es keine Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Das wäre noch die Sonntagszeitung, die mir am meisten gefällt. Bis vor kurzem wurde die auch noch nicht als Lieferung angeboten. Ja, das Landleben hat auch Schattenseiten.) Also ein paar gute Artikel kaufen und lesen.

Mein alter Wirtschafts-Professor habe ich noch gut im Ohr: „Informationen sind ein Erfahrungsgut.“ Die Qualität dieser Ware kann man erst dann ermessen, wenn man sie gekostet hat. Chris Anderson hat meine Skepsis in seinem epochalen Buch Free noch verstärkt:

Free-Mental-Model

Transaktionskosten geringer

Blendle hat die Transaktionskosten verringert. Ich kann den Artikel einfach zurückgeben, wenn ich ihn nicht haben will. Das ist noch immer kein Modell, wie man eine breite Masse zum Micropayment-unterstützten Lesen kriegen kann. Aber die digitale Elite über 30 nutzt das schon. Man könnte sie auch digitale Immis nennen. Ist das die Zukunft? Eher ein Zwischenschritt, das Unbundling des Bündels Print.

TL;DR

Blendle hat zwar eine App, aber eine echte Multiscreen-App ist das tolle Produkt deshalb noch lange nicht. Dazu müsste man da auch kaufen können – aber das macht das Produkt nicht mehr rentabel.

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